Brief des Schriftstellers Y. an seine Leserin Frau W. aus D. bei H.
Verehrte Frau W. aus D. bei H.,
endlich finde ich die nötige Muße, Ihnen auf Ihren lieben Brief vom letzten Jahr - oder war es das davor liegende - in angemessener Ausführlichkeit antworten zu können.
Sie haben Recht, wenn Sie wieder einmal eine Arbeit von mir erwarten, die diesen Namen auch verdient.
Allein, es fehlt mir die Muse, die mich nach meinen großen Erfolgen wieder einmal küsst.
Doch, dass Sie mir nach all den entbehrungsreichen, die den fetten Jahren folgten, noch die Stange hielten, ist mir Trost und Gewinn zugleich.
Was wäre der Autor ohne seinen Leser?
Und gilt dieses nicht auch umgekehrt?
Gewiss ist es auch für Sie bitter, die vielen Buchhandlungen abzuklappern, nur um immer wieder meine Bücher zu kaufen. Dass Sie allein es sind, die meine Bücher kauft, habe ich von befreundeten Buchhändlern erfahren, es sprach sich herum: »Kennst du auch diese überaus attraktive Frau, die jeden Monat einmal kommt und ausschließlich Bücher von diesem Y.
kauft? Immer die gleichen Bücher. Stell dir vor!?«
Wäre meine Mutter nicht schon seit Jahren leider verstorben - sie kochte so wunderbar -, wäre ich geneigt zu glauben, es handele sich bei dieser großartigen und demütigen Person um
sie.
So aber, liebe Frau W., bin ich erleichtert, von Ihnen selbst dieses Geständnis erfahren zu haben. Es ist mir damit ein Stein von der Seele gefallen, denn nächtelang lag ich wach im Bett und grübelte, wer hinter dieser enormen Kauftätigkeit stecken könne. Ruhte ich dann endlich in Morpheus Armen, überkamen mich die wildesten Träume, aus denen ich schweißgebadet erwachte, nur Ihr holdes Antlitz vor Augen, das ich mir schon so oft kühn ausgemalt hatte.
Folglich kam es zu dieser so gravierenden Schreibhemmung, die mich bis heute nicht verlassen hat.
Man sagte mir, zwar zögerlich, aber dann doch frank und frei, dass es sich bei Ihnen um eine wohlhabende Dame meines Alters und exquisiten Geschmackes handele. Desgleichen sollen Sie sehr attraktiv sein für Ihr Alter? wir alle verlieren mit den Jahren an natürlichem Liebreiz,
gewinnen aber dafür die Reife und Weisheit des Alters? und voller Humor, den man lobenswerterweise in die Wiege gelegt bekommt und selten verliert.
Mein Schriftstellerleben hat durch Ihr Eingreifen den kreativen Stillstand erreicht, der jeden anderen Künstler einer ausgehöhlten Eiche gleich, zu Boden gefällt hätte.
Doch in mir lebt dieses Bild von Ihnen werte Frau W. aus D. bei H., das mich am Leben erhält, mir wahre Nahrung für jeden noch so leeren Tag geworden ist.
Dann gehe ich schweigend, denn es ist niemand mehr um mich, der mich noch hofiert, wie in den Jahren des Erfolges, meinen Lieblingsspazierweg am R. entlang, schaue den fernen Schiffen auf ihrer Reise in eine, für sie gewisse, für mich aber verborgene Zukunft nach und ertappe mich dabei, wie ich in Gedanken auf einem Boote sitzend, Ihnen entgegenrudere, mir sehnlichst wünsche, Sie am Ufer zu sehen, mit einem weißen Tuch in Händen, mich erwartend.
Ach, werte Frau W., ist dies nicht auch Ihr Traum?
Wir könnten so vieles miteinander teilen, Ihr helles Lachen bei einem guten Glas Wein im Kerzenschein, ein opulentes Mahl, es wäre zu schön, gemeinsam den Lebensabend zu
genießen.
Sicherlich schreibe ich noch, aber gebe gerne zu, dass mich eine gehörige Portion Sauerbraten (Rind-, nicht Pferdefleisch) mit Klößen und Rotkohl zu verlocken mag, vom Schreibtisch aufzustehen, das Schreiben und Lesen zu lassen und mich gaumenfreudigen Genüssen hinzugeben.
Es ist dies wohl als menschliche, aber verzeihliche Schwäche zu sehen, die auch einen Hemingway, einen Kafka, einen Thomas und auch einen Heinrich Mann angefochten haben
mag, das oft bittere Ringen um das richtige Wort an der richtigen Stelle zu unterbrechen, sich der lukullischen Lust zu opfern, dem Appetit, vielleicht auch dem quälenden Heißhunger zu frönen, die Gabel, statt der kratzigen Schreibfeder zu ergreifen, das Blatt Papier mit dem
dampfenden Napf irdischer Köstlichkeit zu tauschen, das Messer zerschneidet das weiche saftige Fleisch, der Bissen geht zum Munde und gelangt nach großem Genuss in den immer
leeren Künstlermagen, denn wir alle wissen, brotlos ist die Kunst, der Mensch ist satt und zufrieden mit sich und der schnöden Welt des Mammons, zu neuen Taten bereit, legt er
sich nieder zum nötigen Mittagsschlaf, der Mensch ist kein Tier und muss ruhen, bevor es an die Arbeit geht und selbst der Löwe döst unter seinem schattigen Baum, die Antilope zu
verdauen, die ach so schwer ihn im Gedärme liegt.
Dann, frisch ans Werk ein neues literaturnobelpreisverdächtiges Buch verfasst, die Worte
fließen, die Sätze sind wohl gesetzt, das Feuilleton kracht schon vor zitternder Begierde auf das neueste Wort des Meisters.
So wird jedes einzelne Wort vom Leserkreis dem himmlischen Manna gleich aufgesogen, honigsüß tropft es auf den rund satten Wohlstandsleib und gibt dem armen Autor wieder Brot.
Doch dazu, liebe Frau W. aus D. bei H., dazu bedarf ich Ihres, verzeihen Sie mir diese Intimität, Musenkusses, der mich beschwingt, den Pegasus besteigen lässt, dem Poetenhimmel wieder zuzustreben.
So hoffe ich inständig, baldigst von Ihnen zu hören. Ihr Y. © 2001 Jon
endlich finde ich die nötige Muße, Ihnen auf Ihren lieben Brief vom letzten Jahr - oder war es das davor liegende - in angemessener Ausführlichkeit antworten zu können.
Sie haben Recht, wenn Sie wieder einmal eine Arbeit von mir erwarten, die diesen Namen auch verdient.
Allein, es fehlt mir die Muse, die mich nach meinen großen Erfolgen wieder einmal küsst.
Doch, dass Sie mir nach all den entbehrungsreichen, die den fetten Jahren folgten, noch die Stange hielten, ist mir Trost und Gewinn zugleich.
Was wäre der Autor ohne seinen Leser?
Und gilt dieses nicht auch umgekehrt?
Gewiss ist es auch für Sie bitter, die vielen Buchhandlungen abzuklappern, nur um immer wieder meine Bücher zu kaufen. Dass Sie allein es sind, die meine Bücher kauft, habe ich von befreundeten Buchhändlern erfahren, es sprach sich herum: »Kennst du auch diese überaus attraktive Frau, die jeden Monat einmal kommt und ausschließlich Bücher von diesem Y.
kauft? Immer die gleichen Bücher. Stell dir vor!?«
Wäre meine Mutter nicht schon seit Jahren leider verstorben - sie kochte so wunderbar -, wäre ich geneigt zu glauben, es handele sich bei dieser großartigen und demütigen Person um
sie.
So aber, liebe Frau W., bin ich erleichtert, von Ihnen selbst dieses Geständnis erfahren zu haben. Es ist mir damit ein Stein von der Seele gefallen, denn nächtelang lag ich wach im Bett und grübelte, wer hinter dieser enormen Kauftätigkeit stecken könne. Ruhte ich dann endlich in Morpheus Armen, überkamen mich die wildesten Träume, aus denen ich schweißgebadet erwachte, nur Ihr holdes Antlitz vor Augen, das ich mir schon so oft kühn ausgemalt hatte.
Folglich kam es zu dieser so gravierenden Schreibhemmung, die mich bis heute nicht verlassen hat.
Man sagte mir, zwar zögerlich, aber dann doch frank und frei, dass es sich bei Ihnen um eine wohlhabende Dame meines Alters und exquisiten Geschmackes handele. Desgleichen sollen Sie sehr attraktiv sein für Ihr Alter? wir alle verlieren mit den Jahren an natürlichem Liebreiz,
gewinnen aber dafür die Reife und Weisheit des Alters? und voller Humor, den man lobenswerterweise in die Wiege gelegt bekommt und selten verliert.
Mein Schriftstellerleben hat durch Ihr Eingreifen den kreativen Stillstand erreicht, der jeden anderen Künstler einer ausgehöhlten Eiche gleich, zu Boden gefällt hätte.
Doch in mir lebt dieses Bild von Ihnen werte Frau W. aus D. bei H., das mich am Leben erhält, mir wahre Nahrung für jeden noch so leeren Tag geworden ist.
Dann gehe ich schweigend, denn es ist niemand mehr um mich, der mich noch hofiert, wie in den Jahren des Erfolges, meinen Lieblingsspazierweg am R. entlang, schaue den fernen Schiffen auf ihrer Reise in eine, für sie gewisse, für mich aber verborgene Zukunft nach und ertappe mich dabei, wie ich in Gedanken auf einem Boote sitzend, Ihnen entgegenrudere, mir sehnlichst wünsche, Sie am Ufer zu sehen, mit einem weißen Tuch in Händen, mich erwartend.
Ach, werte Frau W., ist dies nicht auch Ihr Traum?
Wir könnten so vieles miteinander teilen, Ihr helles Lachen bei einem guten Glas Wein im Kerzenschein, ein opulentes Mahl, es wäre zu schön, gemeinsam den Lebensabend zu
genießen.
Sicherlich schreibe ich noch, aber gebe gerne zu, dass mich eine gehörige Portion Sauerbraten (Rind-, nicht Pferdefleisch) mit Klößen und Rotkohl zu verlocken mag, vom Schreibtisch aufzustehen, das Schreiben und Lesen zu lassen und mich gaumenfreudigen Genüssen hinzugeben.
Es ist dies wohl als menschliche, aber verzeihliche Schwäche zu sehen, die auch einen Hemingway, einen Kafka, einen Thomas und auch einen Heinrich Mann angefochten haben
mag, das oft bittere Ringen um das richtige Wort an der richtigen Stelle zu unterbrechen, sich der lukullischen Lust zu opfern, dem Appetit, vielleicht auch dem quälenden Heißhunger zu frönen, die Gabel, statt der kratzigen Schreibfeder zu ergreifen, das Blatt Papier mit dem
dampfenden Napf irdischer Köstlichkeit zu tauschen, das Messer zerschneidet das weiche saftige Fleisch, der Bissen geht zum Munde und gelangt nach großem Genuss in den immer
leeren Künstlermagen, denn wir alle wissen, brotlos ist die Kunst, der Mensch ist satt und zufrieden mit sich und der schnöden Welt des Mammons, zu neuen Taten bereit, legt er
sich nieder zum nötigen Mittagsschlaf, der Mensch ist kein Tier und muss ruhen, bevor es an die Arbeit geht und selbst der Löwe döst unter seinem schattigen Baum, die Antilope zu
verdauen, die ach so schwer ihn im Gedärme liegt.
Dann, frisch ans Werk ein neues literaturnobelpreisverdächtiges Buch verfasst, die Worte
fließen, die Sätze sind wohl gesetzt, das Feuilleton kracht schon vor zitternder Begierde auf das neueste Wort des Meisters.
So wird jedes einzelne Wort vom Leserkreis dem himmlischen Manna gleich aufgesogen, honigsüß tropft es auf den rund satten Wohlstandsleib und gibt dem armen Autor wieder Brot.
Doch dazu, liebe Frau W. aus D. bei H., dazu bedarf ich Ihres, verzeihen Sie mir diese Intimität, Musenkusses, der mich beschwingt, den Pegasus besteigen lässt, dem Poetenhimmel wieder zuzustreben.
So hoffe ich inständig, baldigst von Ihnen zu hören. Ihr Y. © 2001 Jon
Schreibmaschinist_Jon - 8. Dez, 18:38