Alle Jahre wieder...
Weihnachten, das Fest der Liebe
Na, haben Sie sie alle beisammen?
Ihre Weihnachtsgeschenke, meine ich.
Bei uns bekommt Vati dieses Jahr ausnahmsweise eine Krawatte, mit dem bindenden Hinweis, dass es jetzt Mode ist, den modischen Zierstreifen besonders eng zu knoten. So bleibt uns eventuell noch was vom Braten übrig.
Mutti freut sich über neue Topfhandschuhe, man kann das Gekreische aus der Küche ja auch wirklich nicht mehr hören, wenn sie sich mal wieder am heißen Backofen die Finger verbrennt.
Scheußlich, da kommen einem ja die Plätzchen hoch.
Oma ist begeistert vom Geschmack der Gebissreinigungstabletten, von denen sie so gerne heimlich nascht. Nur schade, dass sie auf der Stelle vergessen hat, was sie da im Mund hin und her flutschen lässt, während ihre High-Tech-Kauleiste zum Freundschaftspreis von 15.000 Euro neben ihrer Kaffeetasse liegt und verführerisch im Kerzenschein glitzert.
"Wenn ich daran denke, dass da mein neues Auto vor sich hinvegetiert", sagt Vati mit Blick auf Omas Erbstück für kommende zahnlose Generationen.
Überhaupt ist schon ausgemacht, dass der dusselige Cousin Karl-Heinz auf keinen Fall den unteren Teil des kaum gebrauchten Gebisses bekommen wird, mag er auch noch so sehr das derbe Kinn der Oma geerbt haben.
Opa nervt ein wenig mit seinem Gemümmel, das er ständig von sich gibt, während er mit seinem Rollstuhl im Esszimmer um den Tisch kurvt, eine funkelnagelneue knallrote Formel-1-Kappe auf dem Kopf.
Die eingeheiratete Carola macht liebend gerne das Boxenluder, denn bei der Gelegenheit kann sie doch endlich ihre neuen tschechischen Brustimplantate präsentieren.
Opa gefällt's und auch wir sind von den Möglichkeiten der Schönheitschirurgie begeistert, obwohl diese leider keinerlei Auswirkungen auf Carolas Intelligenz hat. Man kann eben nicht alles auf einmal haben, aber vielleicht beim nächsten Mal.
Einen Nachteil bringen die Riesenbrüste Carolas vielleicht noch mit sich, dass nämlich der Weihnachtsbraten im Vergleich zu ihnen kümmerlich wirken könnte.
Vati hat die Krawatte wirklich sehr modisch eng um seinen Hals gebunden und schaut nun mit stierem Blick etwas atemlos auf das allgemeine Geschehen, während Mutti in der Küche hantiert.
Ein Schrei!
Vati brüllt: "Was ist los?"
Mutti schreit zurück: "Ich habe mich verbrannt, du Trottel!"
"Aber warum hast du denn nicht deine neuen Handschuhe angezogen?" rufen wir, aus tiefsten Weihnachtsträumen aufgeschreckten Kinder fast einstimmig.
"Die sind doch für gut."
Na, logisch, da hat sie recht.
Opa steht, um Luft ringend vor Carola, kein Mümmeln zu hören. Sollte es so weit sein oder hat er nur einen Kolbenfresser, Platten oder Speichenbruch?
"Hol mal einer schnell die Traubenzuckerdinger. Opa ist wieder unter Zucker."
Schwupps, zwei, drei dünne Plättchen eingeworfen und Opa rockt wieder das Haus.
"Jetzt sollten wir aber mal den Wein probieren, den Vati mir geschenkt hat", schlägt meine Schwester Petra vor und gibt ihrem Sohn Kevin-Brad eins auf die Finger, weil der mit Omas Gebiss Wasserflugzeug spielt, indem er es in deren kalten Kaffee tunkt und tropfnass am ausgestreckten Arm durch das Zimmer 'fliegen' lässt. Kevin-Brad schlägt zurück, trifft aber nur die Oma und die hat's ja eh gleich darauf vergessen. So ein Glück.
Da wohl alle anderen zu faul sind, frischen Kaffee zu kochen, ruft Vati japsend in die Küche: "Bring doch mal die Weingläser aus dem Wohnzimmer. Die Kinder haben Durst. Und vergiss nicht wieder den Korkenzieher."
Mutti stellt die Gläser auf den Tisch, Vati öffnet leicht schwankend drei Flaschen Wein und schenkt ein. Hat er wieder heimlich getrunken?
Carola winkt Opa mit ihrem seidenen Halstuch an die Boxen, was der sich nur gefallen lässt, weil wir alle klatschen und ihn als Sieger feiern.
Oma hat mittlerweile ihr Weihnachtsgeschenk schon vollständig aufgelutscht und macht sich jetzt über den Weihnachtsteller von Kevin-Brad her. Ja, Rache ist Blutwurst.
Kevin-Brad heult noch mehr, lässt sich aber damit stillen, dass ihm sein Onkel Fritz verspricht, ihn bei der nächsten Reise in die Tschechei mit Tante Carola mitzunehmen, der Onkel Doktor Schönheitschirurg würde sich dann mal Kevin-Brads Nase anschauen, die sähe ja wohl verboten aus.
"Man sollte schon was daran machen, bevor er in die Schule kommt und nur gehänselt wird", erklärt Fritz fachmännisch und fügt hinzu, "so 'ne Nase kostet ja auch nicht die Welt."
Kevin-Brad zieht sich angesichts dieser hoffnungsvollen Aussichten in die dunkelste Ecke zurück und wir können ungestört Petras Wein genießen.
"Siehst du Petra", sagt Carola, "das meinte ich vorhin, als ich gesagt habe, dass Fritz sich gut mit Kindern versteht."
"Ach, halb so wild", erwidert Fritz bescheiden, "man muss nur die kleinen Probleme der Kinder sehen und schon ist es ganz einfach."
"Ja, der Fritz", sagt Mutti, die den Tisch deckt, "ein echter Goldjunge."
Der 'Goldjunge' grinst über sämtliche Backen und schaut mich, seinen Bruder triumphierend an.
Na, denke ich, dir werde ich die Bratensoße aber gleich mal so was von rüber geben und grinse zurück.
Endlich steht der Braten auf dem Tisch und ist wie erwartet tatsächlich kleiner als Carolas tschechische Brüste, die Fritz, dieser Gernegroß ihr zum Fest der Liebe spendiert hat. Dieser Angeber.
"So Kinder, jetzt kommt der große Moment", kündigt Vati nicht ganz so munter wie im letzten Jahr an, er wirkt heute irgendwie gehemmt.
Alle wissen, was er vorhat und rücken mit ihren Stühlen so weit wie möglich nach hinten.
"Das Bratenmesser."
Er krempelt vorher noch die Hemdsärmel hoch, legt den Ehering und die Armbanduhr ab und ergreift das lange scharfe Messer, das Mutti ihm ergeben hinhält.
"Die Gabel."
Nun zerlegt er den Braten in Scheiben, dass es nur so spritzt. Jeder bekommt seinen Anteil und kann sich vorab schon einmal von der Qualität der mütterlichen Kochkunst überzeugen.
"Na, das ist ein Braten, was?" fragt Vati, rein rhetorisch, während das Objekt seiner Freude auf dem ovalen Bratenteller gefährlich hin und her rutscht.
Alle, bis auf Kevin-Brad, der sich lieber davon überzeugt, ob Vatis Armbanduhr nicht nur wasser-, sondern auch weindicht ist, schauen dem alljährlichen Bratenzerlegeritual gebannt zu.
Es ist vollbracht; jeder hat seine Bratenscheibe vor sich auf dem Teller liegen, Mutti kommt mit den Schüsseln voll dampfender Kartoffeln, Rotkohl gibt's auch und meine Bratensoße für Fritz.
Es geht doch nichts über Weihnachten im Kreis seiner Liebsten. © 2003 Jon
Na, haben Sie sie alle beisammen?
Ihre Weihnachtsgeschenke, meine ich.
Bei uns bekommt Vati dieses Jahr ausnahmsweise eine Krawatte, mit dem bindenden Hinweis, dass es jetzt Mode ist, den modischen Zierstreifen besonders eng zu knoten. So bleibt uns eventuell noch was vom Braten übrig.
Mutti freut sich über neue Topfhandschuhe, man kann das Gekreische aus der Küche ja auch wirklich nicht mehr hören, wenn sie sich mal wieder am heißen Backofen die Finger verbrennt.
Scheußlich, da kommen einem ja die Plätzchen hoch.
Oma ist begeistert vom Geschmack der Gebissreinigungstabletten, von denen sie so gerne heimlich nascht. Nur schade, dass sie auf der Stelle vergessen hat, was sie da im Mund hin und her flutschen lässt, während ihre High-Tech-Kauleiste zum Freundschaftspreis von 15.000 Euro neben ihrer Kaffeetasse liegt und verführerisch im Kerzenschein glitzert.
"Wenn ich daran denke, dass da mein neues Auto vor sich hinvegetiert", sagt Vati mit Blick auf Omas Erbstück für kommende zahnlose Generationen.
Überhaupt ist schon ausgemacht, dass der dusselige Cousin Karl-Heinz auf keinen Fall den unteren Teil des kaum gebrauchten Gebisses bekommen wird, mag er auch noch so sehr das derbe Kinn der Oma geerbt haben.
Opa nervt ein wenig mit seinem Gemümmel, das er ständig von sich gibt, während er mit seinem Rollstuhl im Esszimmer um den Tisch kurvt, eine funkelnagelneue knallrote Formel-1-Kappe auf dem Kopf.
Die eingeheiratete Carola macht liebend gerne das Boxenluder, denn bei der Gelegenheit kann sie doch endlich ihre neuen tschechischen Brustimplantate präsentieren.
Opa gefällt's und auch wir sind von den Möglichkeiten der Schönheitschirurgie begeistert, obwohl diese leider keinerlei Auswirkungen auf Carolas Intelligenz hat. Man kann eben nicht alles auf einmal haben, aber vielleicht beim nächsten Mal.
Einen Nachteil bringen die Riesenbrüste Carolas vielleicht noch mit sich, dass nämlich der Weihnachtsbraten im Vergleich zu ihnen kümmerlich wirken könnte.
Vati hat die Krawatte wirklich sehr modisch eng um seinen Hals gebunden und schaut nun mit stierem Blick etwas atemlos auf das allgemeine Geschehen, während Mutti in der Küche hantiert.
Ein Schrei!
Vati brüllt: "Was ist los?"
Mutti schreit zurück: "Ich habe mich verbrannt, du Trottel!"
"Aber warum hast du denn nicht deine neuen Handschuhe angezogen?" rufen wir, aus tiefsten Weihnachtsträumen aufgeschreckten Kinder fast einstimmig.
"Die sind doch für gut."
Na, logisch, da hat sie recht.
Opa steht, um Luft ringend vor Carola, kein Mümmeln zu hören. Sollte es so weit sein oder hat er nur einen Kolbenfresser, Platten oder Speichenbruch?
"Hol mal einer schnell die Traubenzuckerdinger. Opa ist wieder unter Zucker."
Schwupps, zwei, drei dünne Plättchen eingeworfen und Opa rockt wieder das Haus.
"Jetzt sollten wir aber mal den Wein probieren, den Vati mir geschenkt hat", schlägt meine Schwester Petra vor und gibt ihrem Sohn Kevin-Brad eins auf die Finger, weil der mit Omas Gebiss Wasserflugzeug spielt, indem er es in deren kalten Kaffee tunkt und tropfnass am ausgestreckten Arm durch das Zimmer 'fliegen' lässt. Kevin-Brad schlägt zurück, trifft aber nur die Oma und die hat's ja eh gleich darauf vergessen. So ein Glück.
Da wohl alle anderen zu faul sind, frischen Kaffee zu kochen, ruft Vati japsend in die Küche: "Bring doch mal die Weingläser aus dem Wohnzimmer. Die Kinder haben Durst. Und vergiss nicht wieder den Korkenzieher."
Mutti stellt die Gläser auf den Tisch, Vati öffnet leicht schwankend drei Flaschen Wein und schenkt ein. Hat er wieder heimlich getrunken?
Carola winkt Opa mit ihrem seidenen Halstuch an die Boxen, was der sich nur gefallen lässt, weil wir alle klatschen und ihn als Sieger feiern.
Oma hat mittlerweile ihr Weihnachtsgeschenk schon vollständig aufgelutscht und macht sich jetzt über den Weihnachtsteller von Kevin-Brad her. Ja, Rache ist Blutwurst.
Kevin-Brad heult noch mehr, lässt sich aber damit stillen, dass ihm sein Onkel Fritz verspricht, ihn bei der nächsten Reise in die Tschechei mit Tante Carola mitzunehmen, der Onkel Doktor Schönheitschirurg würde sich dann mal Kevin-Brads Nase anschauen, die sähe ja wohl verboten aus.
"Man sollte schon was daran machen, bevor er in die Schule kommt und nur gehänselt wird", erklärt Fritz fachmännisch und fügt hinzu, "so 'ne Nase kostet ja auch nicht die Welt."
Kevin-Brad zieht sich angesichts dieser hoffnungsvollen Aussichten in die dunkelste Ecke zurück und wir können ungestört Petras Wein genießen.
"Siehst du Petra", sagt Carola, "das meinte ich vorhin, als ich gesagt habe, dass Fritz sich gut mit Kindern versteht."
"Ach, halb so wild", erwidert Fritz bescheiden, "man muss nur die kleinen Probleme der Kinder sehen und schon ist es ganz einfach."
"Ja, der Fritz", sagt Mutti, die den Tisch deckt, "ein echter Goldjunge."
Der 'Goldjunge' grinst über sämtliche Backen und schaut mich, seinen Bruder triumphierend an.
Na, denke ich, dir werde ich die Bratensoße aber gleich mal so was von rüber geben und grinse zurück.
Endlich steht der Braten auf dem Tisch und ist wie erwartet tatsächlich kleiner als Carolas tschechische Brüste, die Fritz, dieser Gernegroß ihr zum Fest der Liebe spendiert hat. Dieser Angeber.
"So Kinder, jetzt kommt der große Moment", kündigt Vati nicht ganz so munter wie im letzten Jahr an, er wirkt heute irgendwie gehemmt.
Alle wissen, was er vorhat und rücken mit ihren Stühlen so weit wie möglich nach hinten.
"Das Bratenmesser."
Er krempelt vorher noch die Hemdsärmel hoch, legt den Ehering und die Armbanduhr ab und ergreift das lange scharfe Messer, das Mutti ihm ergeben hinhält.
"Die Gabel."
Nun zerlegt er den Braten in Scheiben, dass es nur so spritzt. Jeder bekommt seinen Anteil und kann sich vorab schon einmal von der Qualität der mütterlichen Kochkunst überzeugen.
"Na, das ist ein Braten, was?" fragt Vati, rein rhetorisch, während das Objekt seiner Freude auf dem ovalen Bratenteller gefährlich hin und her rutscht.
Alle, bis auf Kevin-Brad, der sich lieber davon überzeugt, ob Vatis Armbanduhr nicht nur wasser-, sondern auch weindicht ist, schauen dem alljährlichen Bratenzerlegeritual gebannt zu.
Es ist vollbracht; jeder hat seine Bratenscheibe vor sich auf dem Teller liegen, Mutti kommt mit den Schüsseln voll dampfender Kartoffeln, Rotkohl gibt's auch und meine Bratensoße für Fritz.
Es geht doch nichts über Weihnachten im Kreis seiner Liebsten. © 2003 Jon
Schreibmaschinist_Jon - 8. Dez, 17:51